Warum die Balance zwischen „guten“ und „schlechten“ Nachrichten so wichtig ist – und wie die LVZ auf konstruktiven Journalismus setzt

  • Flugabwehr: Deutsche Patriot-Kampfstaffeln brechen nach Polen auf
  • Hohe Gaskosten: Produktion bricht um 50 Prozent ein
  • Warnstreik: Schülerverkehr kommt zum Erliegen
  • Tausende verletzte Radfahrende in Sachsen
  • Banken dünnen Filialnetz aus

Was machen diese Überschriften mit Ihnen? Wie fühlen Sie sich, wenn Sie das gelesen haben? Lassen Sie mich raten: Sie haben nur wenig Lust, sich weiter mit den Themen zu beschäftigen. Sie scrollen weiter auf Ihrem Handy – von schlechter Nachricht zu schlechter Nachricht wie diesen der LVZ der vergangenen Tage. Immer mehr Menschen machen Nachrichten “müde”, es gibt seit der Corona-Pandemie eine regelrechte “News Fatigue” oder “Nachrichtenvermeidung”, wie zuletzt beispielsweise der Digital News Report des Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford festgestellt hat.“ In der Studie sagten die Befragten, dass Nachrichten einen negativen Effekt auf ihre Stimmung haben.

Das ist auch ein immer wiederkehrendes Thema in den Newsrooms der Leipziger Volkszeitung – und es ist ein steter Wunsch unserer Leserinnen und Leser, der gerade in den vergangenen drei Jahren deutlich öfter geäußert wurde: „Veröffentlichen Sie doch bitte mehr gute Nachrichten. Die Welt ist doch schon schlimm genug.“

Zwei Sätze, die, wenn sie so direkt nebeneinanderstehen, den Spagat im Geschäft des tagesaktuellen Journalismus sehr treffend andeuten. „Die Welt ist schlimm genug.“ Pandemien, Kriege, Krisen. Steigende Preise, Unglücke, Rückschläge, Proteste gegen was auch immer. Gerade in diesen ersten Zwanzigerjahren schienen die Nachrichten zu überwiegen, die die meisten Deutschen alsbald in die Kategorie „Ich kann’s nicht mehr hören“ auslagerten. Im Gleichklang der persönlichen Herausforderungen im Krisenmanagement des eigenen Alltags werden wir der ständigen “bad news” schnell überdrüssig . Das wissen Zeitungsredaktionen wie die LVZ sehr genau, weil wir (neben dem direkten Austausch mit den Leserinnen und Lesern) anhand verschiedener Zahlen, wie Zugriffe auf Artikel oder beispielsweise die gemessene Lesedauer zu verschiedenen Themen, immer besser ablesen können, womit sich die Menschen thematisch beschäftigen. Es sind natürlich die (manchmal negativen) Nachrichtenthemen, die die Menschen unmittelbar betreffen – es sind aber immer häufiger auch die Beiträge, die anders sind: lösungsorientiert und nicht problemfokussiert. Serviceorientiert und nicht nur problembeschreibend. Geschichten über Menschen und wie sie Hürden überwinden in unserer gemeinsamen Heimat. Und Ideen für ein Zusammenleben und Gestalten unserer Städte und Gemeinden.

Diese Grundlage an Wissen könnte also eine logische und naheliegende Folge haben: Wenn wir denn schon wissen, dass die Abonnenten gerne die Beiträge konsumieren, die optimistisch machen, von den guten Seiten des Alltags erzählen oder im Inhalt zumindest geeignet sind, von den vielen negativen Entwicklungen abzulenken – warum konzentriert sich die LVZ in ihrer Berichterstattung nicht einfach darauf, das Gute herauszufiltern und sich in der Entwicklung von Themen auf die positiven Dinge zu fokussieren?

Weil es so einfach eben nicht ist. Das Leben ist nicht immer nur schön. Es birgt Krisen. Es fordert uns, und manchmal bricht es uns auch. Aufgabe eines journalistischen Mediums ist es nicht, an den tatsächlichen Gegebenheiten vorbeizuberichten. Redaktionen machen die Nachrichten nicht, sie berichten darüber. Über die guten und die schlechten. Es ist Bestandteil des Auftrags von Zeitungen, die Gesellschaft aufzuklären, zu informieren und Hintergründe aufzuschlüsseln. Bei ihren Recherchen und Themensetzungen können Reporterinnen und Reporter nicht mit der “Rosaroten Brille”-Mentalität an die Arbeit gehen und aussortieren, was miese Laune macht. So funktioniert die Welt nicht.

Was aber auch wahr ist: Journalistinnen und Journalisten folgen intrinsisch der Spur des Negativen. Es scheint fest in ihrer DNA verankert, eher den Skandalen, Katastrophen oder Sensationen hinterherzuhecheln, als sich vom Gedanken leiten zu lassen, was die Lösung eines Problems wäre, das man da gerade thematisiert. Ein Test belegt das gut: Wenn man einzelne gesellschaftliche Gruppen oder Angehörige bestimmter Berufsgruppen bittet, den Zustand der Welt in drei Worten zu beschreiben, dann geben Journalisten die mit Abstand negativsten Bewertungen ab. Wir haben das in der Redaktion übrigens neulich mal ausprobiert. Vielleicht aber auch nachvollziehbar: Die Wirkung negativer Schlagzeilen ist fünf Mal stärker als positiv formulierte Überschriften – man könnte es damit erklären, dass der Mensch eben immer auf potenzielle Gefahren schaut, um sich zu schützen.

Es ist also – neben dem Balanceakt abzuwägen, was das richtige Maß im Verhältnis zwischen positiver und negativer Berichterstattung ist – vor allem der selbstkritische Blick auf die journalistische Herangehensweise zu den Themen. Und das haben wir uns für die Arbeit bei der LVZ vorgenommen – und arbeiten seit Monaten daran,  dies immer wieder in unsere Themenfindung und Themenentwicklung einzubinden. Unterstützung bekommen wir dabei durch die wichtige Arbeit des Bonn-Institutes für Journalismus und konstruktiven Dialog. Das Team um Gründerin Ellen Heinrichs verfolgt das Ziel, den Journalismus in Deutschland lösungsorientierter und konstruktiver zu machen. Uns in der LVZ-Redaktion gefällt dieser Gedanke sehr gut. Wie gesagt: In der Balance – denn nicht alles in der Welt kann man konstruktiv sehen.

Werden wir mal konkret: Ein aktuelles Beispiel dafür, wie die LVZ konstruktiven Journalismus denkt und umsetzt, ist das Themenpaket zur Energiewende in Sachsen. In einer mehrteiligen Serie haben Reporterinnen und Reporter nicht nur die Missstände im Freistaat analysiert, sondern mit Experten auch über Lösungsansätze und mögliche Wege in die Zukunft gesprochen. Wie könnte Leipzig 2025 aussehen? Meine Kollegin Antonie Rietzschel hat mit vielen Menschen gesprochen, die diese Perspektive geben: Gründächer als ökologische Klimaanlage, kleinere Wohnungen, weniger Müll – wie sich Leipzig und seine Bewohner wappnen für die Zukunft. Willkommen in einem neuen Leipzig! Gerne gelesen haben unsere Abonnentinnen und Abonnenten auch die Planungen zur “Schwammstadt Leipzig” – wie kann konstruktiv mit den veränderten Rahmenbedingungen umgegangen werden?

Man kann im Alltag aber auch mal darüber nachdenken, welchen “Dreh” ein Thema haben kann. Die Schlagzeile „Preis-Explosion in Sachsen: Stromversorger verlangt das Fünffache des Energieabschlags“ wirkt anders als „Möglichkeiten, die Preissteigerungen auf dem Energiemarkt moderater zu gestalten“. Lassen Sie’s mal wirken …

Hören Sie dazu gern auch einmal in unseren Podcast zum Thema rein:

 

Auch in der Betrachtung der Verkehrswende in Leipzig orientieren wir uns an dem Grundsatz, nicht nur die Kalamitäten zu thematisieren, sondern vor allem  alle Formen von Mobilität in einer wachsenden Stadt zu berücksichtigen. Mit allen Konflikten, Gemeinsamkeiten und eben Lösungen. Das habe ich an anderer Stelle des LVZ-Transparenzblogs bereits erklärt. Wenn Sie nachlesen möchten – hier entlang.

Die Redaktion der LVZ kann die schlechten Nachrichten nicht ausblenden. Konstruktiver Journalismus wird die globalen Schwierigkeiten nicht auflösen, Krisen stoppen oder gar Kriege beenden. Aber die Suche nach Gemeinsamkeiten auf dem Weg nach vorn, nach Lösungsansätzen, wie man mit Konflikten umgehen und einen optimistischeren Blick auf vermeintlich aussichtslose Kontexte liefern kann, wird uns weiter umtreiben. Weil wir überzeugt sind, dass lösungsorientierte Berichterstattung ein wirksames Mittel gegen Nachrichtenvermeidung ist. Und wir gerne für die Menschen in Leipzig und Sachsen Journalismus anbieten wollen, der sie nicht nur informiert – sondern für ihr Leben vielleicht sogar weiterbringt.

Haben Sie Anregungen? Schreiben Sie uns an transparenz@lvz.de

Ihr

Thomas Lieb

Reporterchef der LVZ