Wie das Wissen um den Nutzer unseren Journalismus besser macht – und warum uns Daten dennoch nicht steuern

Dass der „Traum“ ausgeträumt ist, machte zuerst in sozialen Netzwerken die Runde: Die „Mrija“ ist zerstört. Wenig später lösten Bilder der ausgebrannten Antonov AN-225 weltweit Bestürzung aus, auch in Leipzig. 32 Mal war das größte Flugzeug der Welt hier zu Besuch, bevor es Ende Februar bei russischen Angriffen auf den Flughafen Hostomel nahe Kiew schwer beschädigt wurde. In Schkeuditz hatten die Besuche des ukrainischen Luftfracht-Riesen, von dem es nur ein Exemplar gibt, stets zahlreiche Fans und „Planespotter“ angelockt.

Mehr als 125.000 Nutzerinnen und Nutzern lasen die erste Nachricht dazu auf LVZ.de – es war der bislang meistgeklickte Artikel in diesem Jahr, noch vor Beiträgen über neue Corona-Regeln, die Leipziger Stadion-Konzerte von Rammstein oder den Fall Gil Ofarim. Auch sie gehörten zu den am häufigsten gelesenen Texten auf unserer Webseite. Natürlich hat dies Einfluss auf die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten, die täglich bei der Leipziger Volkszeitung für Sie recherchieren, Nachrichten auswählen, Themen aufbereiten und Fakten sowie Hintergründe in Erfahrung bringen.

Mehrere Bildschirme im LVZ-Newsroom zeigen uns, für welche Artikel Sie sich gerade interessieren, wie viele User einen Beitrag lesen und ob Sie die Nachrichten am Smartphone oder am PC aufrufen. Wir sehen auch, wie viele Digital-Abos bei einzelnen Artikeln abgeschlossen wurden – hier liegt übrigens ein Artikel über Leipziger Schulen ganz vorn.

All diese Informationen sind wichtig für uns, denn sie helfen dabei, unseren Journalismus besser zu machen.

Das Wissen um das Leseverhalten beeinflusst unsere Themen ebenso wie die Aufbereitung unserer Inhalte. Webtracking-Technologien geben uns Aufschluss darüber, welche Geschichten Sie zu welcher Uhrzeit neugierig machen, ob Sie neu auf unserer Webseite sind und woher Sie zu uns kommen – zum Beispiel über Google, Facebook oder Links auf anderen Webseiten. Uns ist wichtig, dass dies unter Einhaltung der Datenschutz-Regeln passiert. Sie kennen die Cookie-Banner, die auf unserer und den meisten anderen Webseiten erscheinen. Hier können Sie der Verarbeitung Ihrer personenbezogenen Daten zustimmen. Sie müssen dies nicht tun, es hilft uns aber dabei, unser Angebot auf Ihre Bedürfnisse zuzuschneiden.

Das Ende des ukrainischen „Traums“ – so die Übersetzung des Antonov-Spitznamens „Mrija“ – war aufgrund des großen Leserinteresses in der Folge Thema unseres Recherche-Podcasts „Unsere Story“, es wurde in einer ausführlichen Reportage analysiert, in der auch ein Antonov-Pilot zu Wort kam, wir dokumentierten es in Bildern und Videos und sprachen darüber mit zahlreichen Experten. Auch dies stieß erneut auf viel Interesse.

Warum schenkten wir einem Flugzeug so viel Aufmerksamkeit, während zeitgleich ein Krieg menschliches Leid auslöst und Millionen in die Flucht treibt? Diese Frage wurde uns oft gestellt, insbesondere in sozialen Netzwerken. Die Antwort hat auch mit Relevanz zu tun. Bei allem Interesse für Daten bildet die inhaltliche Bedeutsamkeit eines Themas die oberste Leitlinie unserer journalistischen Arbeit. Ohne dass die menschlichen Tragödien und die Gräuel der russischen Invasion in den Hintergrund rückten, stand die Zerstörung der AN-225 wie ein Symbol für die Sinnlosigkeit von Putins Angriffskrieg. Und sie gab Anlass, in die Tiefe zu gehen und nachzubohren – ebenso wie bei anderen relevanten Themen, wie der Unterbringung der ukrainischen Flüchtlinge in Leipzig, den damit verbundenen Problemen und der großen Welle der Hilfsbereitschaft.

Wir fragen uns jeden Tag auch: Was wird besonders intensiv gelesen – und was nicht? Der Durchschnitt unserer Artikelaufrufzeit lag in diesem Jahr bei etwas über einer Minute. Im Schnitt lesen Sie, liebe Leserinnen und Leser, 85 Prozent eines Artikels (fast so viel wie nun von diesem Blog-Text). Warum uns das interessiert? Weil wir uns den 100 Prozent annähern wollen. Denn ob Sie unsere journalistischen Inhalte spannend finden, entscheidet auch mit darüber, ob diese den Weg in die gedruckte Zeitung finden oder nicht.
Datenorientiert zu arbeiten heißt aber nicht, sich von den Daten (ver-)leiten zu lassen. Dass „Sex and Crime“ für Einschaltquote sorgen – diese Aussage hat auch im Zeitalter von Instagram und Telegram wenig von ihrer Gültigkeit verloren. Doch Klickzahlen zum Gradmesser zu erklären, würde bedeuten, dass auf LVZ.de mehr über Promis und Polizeieinsätze berichtet wird als über Verfehlungen der Landespolitik, die Verkehrsentwicklungen in unserer Stadt oder Umwelt- und Naturschutzthemen. Auch dies sind übrigens Themen, die regelmäßig auf große Nachfrage stoßen, die wir gewichten und so aufbereiten, dass sie spannend, analytisch und verständlich sind.

Gleiches gilt für RB Leipzig: Die Berichterstattung über den Fußball-Bundesligisten und insbesondere den DFB-Pokalgewinn ist ebenfalls eines der am stärksten nachgefragten Themen bei LVZ.de in den letzten Monaten gewesen.

Was wir nicht aus den Daten lernen: Wo genau die Geschichten und Neuigkeiten lauern, die Sie interessieren könnten. Dies ist und bleibt auch weiterhin Teil unseres Handwerks, unseres journalistischen Gespürs und die größte Herausforderung für unsere Reporterinnen und Reporter. Das Wissen um die Nutzer kann aus einem Gefühl aber Gewissheit machen und uns dabei unterstützen, besser zu verstehen, was Sie lesen möchten.

Trügt uns dieses Gespür? Haben Sie Anregungen und Hinweise? Oder vielleicht selbst ein Thema, das wir aufgreifen sollten? Dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an chefredaktion@lvz.de.

Herzliche Grüße,

Ihr

Robert Nößler

Mitglied der Chefredaktion

 

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