Die LVZ aus einer anderen Zeit: Blick in eine Broschüre aus dem Jahr 1954

Josa Mania-Schlegel

„Der Werdegang einer modernen Tageszeitung“ – der Titel des Heftchens, das die LVZ im September 1954 in Druck gibt, klingt unverdächtig. Die Zeitung feiert damals ihr 60-jähriges Bestehen. Die erste Seite klingt bestenfalls etwas hochmütig: Anlässlich des Jubiläums wolle man zeigen „wie Tausende rühriger Hände Tag für Tag in Bewegung sind, um Millionen Lesern das Spiegelbild lebendiger Gegenwart zu vermitteln.“

Ein Making-of LVZ liegt hier also vor. Eines, das in seiner Selbstherrlichkeit auch manchmal ein bisschen ­lustig ist. Etwa wenn im Korrektorat nicht nur „einzelne Wörter berichtigt werden, sondern auch jeder Buchstabe in den Wörtern überprüft wurde.“ Welch Akribie!

Ein paar Seiten weiter, beim Punkt „Redaktionskonferenz“, kommt man aber ernsthaft ins Stutzen. Der Chefredakteur, heißt es da, habe jeden Morgen zunächst „festgestellt, inwieweit das Redaktionskollektiv seine ihm von der Partei gestellten Aufgaben erfüllt hat.“ Journalismus, gesteuert von der Einheitspartei, diktiert von ganz oben. Damit auch in der Zeitung von Morgen kein Unfug steht, gab der Chefredakteur zum Ende „den Teilnehmern der Konferenz Anleitung für die nächste Zeitungsausgabe.“

Journalismus von heute will den Mächtigen auf die Finger schauen. Damals war er ein Diener der Macht.

Sinnbildlich dafür steht ein Ressort der damaligen LVZ, die „Abteilung Propaganda“, dessen dauernde Aufgabe es war, „die Theorie des Marxismus-Leninismus (…) zu erläutern.“ Doch die SED überschätzte die Wirkung der Medien. Doch die SED – deren Parteiorgan die LVZ zwischen 1946 und 1989 war – überschätzte die Wirkung der Medien. Bis zur Wiedervereinigung verließen rund 4,6 Millionen Menschen die DDR, um in den Westen zu flüchten, wo es unter anderem Pressefreiheit gab.

Eine Redaktionsbesprechung gibt es heute immer noch. Allerdings diktieren ­keine Parteien oder Politiker ihre Meinung, sondern ­jeden Morgen eine andere Kollegin oder ein Kollege: Welche Texte waren gut? Welche weniger? An welche Story sollten wir heute ­unbedingt ran? Ganz wichtig: Wieviele Klicks hatte LVZ.de in den letzten 24 Stunden – und was hat den Abonnenten besonders gefallen?

Die Zeitung als „scharfe Waffe der Partei“: In der DDR war keine Pressefreiheit vorgesehen, also schuf sich die Bevölkerung ihre eigene: In den Sechziger Jahren hatten 85 Prozent Zugang zum westlichen Hörfunk. Heute herrscht innerhalb der LVZ-Redaktion täglich reger Streit über Themen – manchmal sogar ganz öffentlich in Pro- und Contra-Formaten.

Fünf Männer scharen sich um eine Zeitung, was für eine Aufnahme! Leider ­dürfte sie nur inszeniert sein. Den Agitatoren war befohlen, die herrschende Partei­meinung in die DDR-Gesellschaft zu tragen, etwa durch Demos oder ­Plakate. ­Damit das auch ja gelang, leistete sich die SED ganze Abteilungen für Agitation und Propaganda, die Medien wie die LVZ lenkten.

Die „Leser selbst, die ihre Zeitung finanzieren“ – klingt paradiesisch, war aber eine Lüge: Die LVZ wurde zu DDR-Zeiten staatlich subventioniert, schließlich sollte sie weit und breit die scheinbar heile Welt des Sozialismus verkünden. Nach der Wende kam das Geld aus Anzeigen und Abos, heute tüfteln Medienhäuser an digitalen Bezahlmodellen.